Des Sängers Fluch

Des Sängers Fluch, Aquarell von Eduard Ille, um 1865

Des Sängers Fluch ist eine Ballade des Dichters Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814.

Form

Das Gedicht ist durch eine Verbindung der Gattungen Drama, Lyrik und Epik deutlich als Ballade zu erkennen. So sind beispielsweise Dialoge enthalten, die die Handlung vorantreiben. Uhland nutzt dazu die Nibelungenstrophe. Als Philologe hatte er sich selbst um die Erforschung des mittelalterlichen Nibelungen-Lieds verdient gemacht und trug – neben Dichtern wie Adelbert von Chamisso (Die Weiber von Weinsberg, Das Riesenspielzeug) oder Franz von Gaudy (Kaiserlieder) – maßgeblich zur Wiederaufnahme der Nibelungenstrophe (Zyklus Graf Eberhard der Rauschebart u. a.) bei, freilich in einer etwas regulierteren Form als der überlieferten. Auch in Des Sängers Fluch findet sich diese vierzeilige hochmittelalterliche, aabb gereimte, Strophe – jeder Vers mit einer Mittelzäsur, wo zwei je dreihebige Halbverse mit zwei Senkungen aufeinandertreffen; der ganze (Lang-)Vers schließt durchgehend mit männlicher Kadenz.

Inhalt

In der Ballade Des Sängers Fluch geht es um zwei Sänger, die versuchen, das Herz eines grausamen Königs zu rühren, der dabei einen von ihnen mit seinem Schwert ersticht. Daraufhin belegt der Überlebende den König mit einem Fluch.

In der ersten Strophe wird das Reich des Königs, das in einem deutlichen Kontrast zum Herrscher selbst steht, beschrieben: Das Land ist schön, das Schloss des Regenten „so hoch und hehr“. (V. 1) Der König wird als finster dagegen gestellt. (Strophe 2, V. 6) In der nächsten Strophe tritt dann das edle Sängerpaar (V. 9) auf – ein alter Spielmann und dessen jünglinghafter Schüler. Sie begegnen dem Königspaar – „die Königin süß und milde“, ihr Gemahl grausam und düster. (Strophe 4, V. 20) In den Strophen 5 und 6 wird der Vortrag der Sänger geschildert. Doch rühren sie damit den König nicht, jedoch sogar seine Höflinge und Krieger und vor allem die Königin – sie wirft den Sängern eine Rose zu. Der ergrimmte König wirft sein Schwert und trifft den Jüngling. Der stirbt. Sein Meister spricht den Fluch aus. (Strophen 9 bis 11)

Der Fluch selber steigert sich über drei Strophen. Er trifft das stolze Schloss, in dem Musik und Gesang verstummen sollen, dann die duftenden Gärten, sie sollen verdorren, zuletzt den König selber, der trotz allen Strebens „nach Kränzen blut’gen Ruhms“ vergessen werden soll.

Dann springt die Ballade in die Zukunft: Der Fluch hat sich erfüllt. (Strophen 15 und 16) Das Schloss ist Ruine: „Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht; | Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.“ Die Gärten sind eine wasserlose Ödnis. Den König aber kennt keiner mehr. Oft zitiert wird der Schluss: „Versunken und vergessen! | das ist des Sängers Fluch.“


Text:


Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr,

Weit glänzt es über die Lande bis an das blaue Meer,

Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,

Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.

Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,

Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;

Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,

Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,

Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar;

Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,

Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.

Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!

Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!

Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!

Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz."

Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,

Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl,

Der König furchtbar prächtig wie blut'ger Nordlichtschein,

Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.

Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,

Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;

Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,

Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit

Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit,

Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,

Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,

Des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott;

Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,

Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.

"Ihr habt mein Volk verführet; verlockt ihr nun mein Weib?"

Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib;

Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt.

Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm.

Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm;

Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,

Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.

Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis,

Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,

An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt;

Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:

"Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang

Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,

Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,

Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!

Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!

Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht,

Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt,

Daß ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt.

Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängertums!

Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms!

Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,

Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaucht!"

Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,

Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;

Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht;

Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.

Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Heideland,

Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,

Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;

Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch!

Interpretation

In der Ballade überragt die Macht des Sängers am Ende die des Königs. Zwar kann dieser grausam herrschen und sogar töten. Doch ist er sterblich, und nur der Sänger hat den Schlüssel zum ewigen Ruhm. Der Sänger kann das Andenken des Königs wahren, von seinen Taten berichten und ihn so im Gedenken der Menschen unsterblich machen. Wen er nicht verewigt, erleidet einen zweiten Tod. Der Sänger also kann sich furchtbar rächen.[1]

Diese Macht des Sängers spielt auf die mittelalterlichen Verhältnisse an. Auch dort haben fahrende Spielleute durch Preisstrophen den Ruhm eines Fürsten in der Welt bekannt gemacht oder aber einen Fürsten durch Scheltestrophen verspottet. Letztendlich ist es ein unausgesprochener Rückverweis auf Homers Wirkung auf die Antike und bis auf Uhlands Zeit.

Auch ist der Demokrat Uhland von seiner eigenen Gegenwart geprägt, als der Dichter als schöpferische (und hier zerstörerische) Verkörperung des von den Fürsten unterjochten deutschen Volkes galt. Sein Lied wird als heilig und bleibend, weil Volkes Stimme, verstanden.[2] 1807 waren Johann Gottfried Herders bahnbrechende Stimmen der Völker in Liedern erschienen.

Literaturhistorische Einordnung

Die Anspielung gerade auf das Mittelalter ist typisch für die Epoche der Romantik, die gerne dorthin und bis in die altdeutsche Zeit zurückgreift. Auch märchenhafte Elemente tauchen hier immer wieder auf, erkennbar im Fluch des Alten selbst, der ja auch in Erfüllung geht. Auch der für die Epoche typische Überschwang des Gefühls ist hier in der Schwärmerei der Königin und im mörderischen Zorn des Königs gegeben. Die Natur, nämlich der Zustand des Königreichs, gilt als mit seinem Herrscher eng verbunden: Das Land verfällt zusammen mit seinem Ruhm. Auch ist es typisch für die Romantik, dass andere Kunstformen als die Literatur in der Literatur thematisiert werden. Hier ist es die Musik.

Wirkung

Die Ballade wurde zum politischen Ausdruck des Bürgerprotestes bis in den Vormärz hinein. Im Jahr 1852 wurde Des Sängers Fluch von Robert Schumann als op. 139 für Soli, Chor und Orchester vertont.

Der Komponist Martin Plüddemann vertonte das Werk 1885.[3]

Von der Band Reifrock wurde es unter gleichem Namen als Lied auf dem Album Unter einem Hut von 1981 auf Langspielplatte veröffentlicht. Außerdem wurde es als Lied im Jahr 2008 auf dem Album Sagas von der Band Equilibrium gleichnamig vertont. Als Spielmannsfluch erschien sie 1999 in verkürzter Form auf der CD Verehrt und angespien der Band In Extremo.

Hans-Eckardt Wenzel vertonte die Ballade 1982 oder 1983 und nahm sie im November 2020 neu auf.[4]

Die Band Falkenstein hat die Ballade ebenfalls als Vorlage verwendet.

Das Gedicht wurde auch häufig parodiert. In der Kunden-Zeitung Bruder Straubinger erschienen um 1906 zwei Parodien, nämlich Des Kunden Fluch von Carl Salm im 1. Jg. (damals war der Titel der Zeitschrift noch Der arme Teufel) und Des Sängers Fluch anonym in 2. Jg. Nr. 2., Ende Oktober 1906. Hugo E. Luedecke sammelte für das vierte Beiwerk der Anthropophyteia die erotische Version Der Laura Fluch.

Ausgabe

  • Ludwig Uhland: Der Spielmannsfluch, in: Hartmut Laufhütte (Hg.): Deutsche Balladen. Reclam, Stuttgart 2000.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Fritz Martini 2007, S. 327.
  2. Vgl. Albrecht Weber 1964, S. 251 ff.
  3. Institut für kunst-und musikhistorische Forschungen: Plüddemann, Martin. 2002, abgerufen am 17. Oktober 2023. 
  4. Tonaufnahme auf offiziellem YouTube-Kanal von Hans-Eckardt Wenzel

Literatur

  • Fritz Martini, Ohnmacht und Macht des Gesangs. Zu Ludwig Uhlands Ballade „Des Sängers Fluch“, in: Wulf Segebrecht (Hg.), Gedichte und Interpretationen, Bd. 3, „Klassik und Romantik“, Reclam, Stuttgart 2007
  • Johannes Proelß: Des Sängers Fluch : zur Aufhellung von Schillers Anteil an Uhlands Ballade. In: Rechenschaftsbericht / Schwäbischer Schillerverein Marbach/Stuttgart, Band 10, 1905, Seite 46–57.
  • Horst Dieter Schlosser, Dtv-Atlas Deutsche Literatur, dtv, München 2002
  • Albrecht Weber, Ludwig Uhland. Des Sängers Fluch, in: Rupert Hirschenauer/Albrecht Weber, Wege zum Gedicht, Bd. 2, Wege zur Ballade, München/Zürich 1964.

Weblinks

Commons: Des Sängers Fluch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Des Sängers Fluch – Quellen und Volltexte
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