Thom-Raum

Der Thom-Raum oder Thom-Komplex, benannt nach René Thom, ist in der algebraischen Topologie und Differentialtopologie ein einem Vektorbündel zugeordneter topologischer Raum.

Konstruktion des Thom-Raums

Ein k-dimensionales reelles Vektorbündel E {\displaystyle E} über einem parakompakten Raum B {\displaystyle B} sei durch

p : E B {\displaystyle p\colon E\to B}

gegeben. Dann ist für jeden Punkt b {\displaystyle b} der Basis B {\displaystyle B} die Faser F b {\displaystyle F_{b}} des Vektorbündels ein k-dimensionaler reeller Vektorraum. Ein zugehöriges Sphärenbündel Sph ( E ) B {\displaystyle \operatorname {Sph} (E)\to B} kann durch separate Einpunktkompaktifizierung jeder Faser gebildet werden. Aus dem Bündel Sph ( E ) {\displaystyle \operatorname {Sph} (E)} erhält man den Thom-Komplex T ( E ) {\displaystyle T(E)} indem alle neu hinzugefügten Punkte mit dem Punkt {\displaystyle \infty } identifiziert werden, dem Basispunkt von T ( E ) {\displaystyle T(E)} .

Thom-Isomorphismus

Die Bedeutung des Thom-Raums ergibt sich aus dem Satz über den Thom-Isomorphismus aus der Theorie der Faserbündel (hier mittels Z 2 {\displaystyle \mathbb {Z} _{2}} -Kohomologie formuliert, um Komplikationen aus Orientierbarkeitsfragen zu vermeiden).

Mit p : E B {\displaystyle p\colon E\to B} wird wie im vorigen Abschnitt ein reelles Vektorbündel bezeichnet. Dann gibt es einen Isomorphismus, den Thom-Isomorphismus

Φ : H i ( B ; Z 2 ) H ~ i + k ( T ( E ) ; Z 2 ) {\displaystyle \Phi \colon {H}^{i}(B;\mathbf {Z} _{2})\to {\tilde {H}}^{i+k}(T(E);\mathbf {Z} _{2})} ,

für alle i 0 {\displaystyle i\geq 0} , wobei die rechte Seite die reduzierte Kohomologie ist.

Der Isomorphismus lässt sich geometrisch als Integration über die Fasern interpretieren. Im Spezialfall eines trivialen Bündels ist T ( E ) = S k B + {\displaystyle T(E)=S^{k}B_{+}} die k {\displaystyle k} -fache Einhängung der Basis und der Thom-Isomorphismus folgt aus dem Einhängungs-Isomorphismus H ~ i ( B ) = H i + 1 ( S B ) {\displaystyle {\tilde {H}}^{i}(B)=H^{i+1}(SB)} . Der Thom-Isomorphismus gilt auch für verallgemeinerte Kohomologietheorien.

Der Satz wurde von René Thom in seiner Dissertation 1952 bewiesen.

Thom-Klasse

Thom gab auch eine explizite Konstruktion des Thom-Isomorphismus. Dieser bildet das neutrale Element von H ( B ) {\displaystyle H^{*}(B)} auf eine Klasse U {\displaystyle U} in der k {\displaystyle k} -ten Kohomologiegruppe des Thom-Raumes ab, die Thom-Klasse. Damit kann man für eine Kohomologieklasse b {\displaystyle b} in der Kohomologie des Basisraums den Isomorphismus über den Rückzug der Bündel-Projektion und das kohomologische Cup-Produkt berechnen:

Φ ( b ) = p ( b ) U . {\displaystyle \Phi (b)=p^{*}(b)\smile U.}

Thom zeigte in seiner Arbeit von 1954 weiter, dass die Thom-Klasse, die Stiefel-Whitney-Klassen und die Steenrod-Operationen miteinander verbunden sind. Weiter zeigte er, dass die Kobordismengruppen als Homotopiegruppen bestimmter Räume M S O ( n ) {\displaystyle MSO(n)} berechnet werden können, die selbst als Thom-Räume konstruiert werden können. Sie bilden im Sinne der Homotopietheorie ein Spektrum M S O {\displaystyle MSO} , genannt Thom-Spektrum. Das war ein wichtiger Schritt zur modernen stabilen Homotopietheorie.

Falls Steenrod-Operationen definiert werden können, kann man mit ihnen und dem Thom-Isomorphismus Stiefel-Whitney-Klassen konstruieren. Nach Definition sind die Steenrod-Operationen (mod 2) natürliche Transformationen

S q i : H m ( ; Z 2 ) H m + i ( ; Z 2 ) {\displaystyle Sq^{i}\colon H^{m}(-;\mathbf {Z} _{2})\to H^{m+i}(-;\mathbf {Z} _{2})} ,

definiert für alle natürlichen Zahlen m {\displaystyle m} . Falls i = m {\displaystyle i=m} ist, stimmt Sqi mit dem Quadrat des Cup überein. Die i {\displaystyle i} -ten Stiefel-Whitney-Klassen w i ( p ) {\displaystyle w_{i}(p)} des Vektorbündels p : E B {\displaystyle p\colon E\to B} sind dann gegeben durch:

w i ( p ) = Φ 1 ( S q i ( Φ ( 1 ) ) ) = Φ 1 ( S q i ( U ) ) . {\displaystyle w_{i}(p)=\Phi ^{-1}(Sq^{i}(\Phi (1)))=\Phi ^{-1}(Sq^{i}(U)).\,}

Literatur

  • J. P. May: A Concise Course in Algebraic Topology. University of Chicago Press, Chicago IL u. a. 1999, ISBN 0-226-51182-0, S. 183–198 (Chicago Lectures in Mathematics Series).
  • Dennis Sullivan: René Thom's Work on Geometric Homology and Bordism. In: Bulletin of the American Mathematical Society. 41, 2004, S. 341–350, online .
  • René Thom: Espaces fibrés en sphères et carrés de Steenrod. In: Annales scientifiques de l'École Normale Supérieure. Sér. 3, 69, 1952, S. 109–182, online.
  • René Thom, Quelques propriétés globales des variétés differentiables. In: Commentarii Mathematici Helvetici. 28, 1954, S. 17–86, online.